Die Wissenschaftler:innen am Ernst Strüngmann Institut forschen daran, wichtige Gehirnfunktionen grundlegend zu erklären. Das Gehirn in Gesundheit und Krankheit zu verstehen, ist unerwartet komplex. Um den Fragen systematisch nachzugehen, wird ein breitgefächertes Spektrum wissenschaftlicher Methoden eingesetzt. Dazu gehören auch Tierversuche. Neben der Erklärung von Grundlagen tragen die Erkenntnisse dazu bei, zu verstehen, welche Störungen die gesunde Funktion des Gehirns beeinträchtigen oder zu Krankheiten führen können.

Unser Ziel ist es, die Öffentlichkeit proaktiv und transparent über die wissenschaftlichen Fragestellungen, Methoden, Erfolge und Grenzen der Tierforschung zu informieren. Dabei leitet uns ein gleichberechtigter, respektvoller und faktenbasierter Umgang im Miteinander von Wissenschaftler:innen, Institutsmitarbeitenden und der Öffentlichkeit.

„Dem Anwenden muss das Erkennen vorausgehen.“

Max Planck

Welche Methode ist die richtige?

Zu Beginn eines Forschungsvorhabens muss immer die Frage beantwortet werden, welche Methode dafür geeignet ist. Den Wissenschaftler:innen am Ernst Strüngmann Institut steht dazu eine breite Auswahl an Methoden zur Verfügung. Dazu zählen zum Beispiel Computersimulationen, nicht-invasive bildgebende Verfahren wie EEG, MEG und MRT bei Menschen, Organoide sowie auch Tierversuche. Grundsätzlich gilt, dass Tierversuche ausschließlich dann eingesetzt werden, wenn andere Methoden nicht geeignet sind.

Welches Methodenspektrum nutzen die Forscher:innen am ESI?
Die Methoden unterscheiden sich unter anderem in ihrer Möglichkeit zu bestimmen, wo und wann ein neuronales Signal im Gehirn vorhanden ist.

Ein Beispiel

Ergebnisse aus Tierversuchen, wie zum Beispiel Erkenntnisse über die Signalübertragung zwischen Nervenzellen der Hirnrinde, können mithilfe tierversuchsfreier Methoden weiter erforscht werden. So haben vor kurzem Wissenschaftler aus dem Singer Lab am ESI neuronale Netzwerke in Computermodellen nachgebildet und anhand von Simulationen der Netzwerkfunktion bahnbrechende Erkenntnisse erzielt: Ihre Berechnungen liefern erstmals den Beweis dafür, dass die in Gehirnaktivitäten beobachteten Oszillationen eine wichtige Funktion bei der Informationsverarbeitung im Gehirn erfüllen. Die Studie der Forschungsgruppe hat das Potential, das bisherige Verständnis von Gehirnfunktionen richtungweisend zu verändern. Neben diesen grundlegenden Erkenntnissen für die Neurowissenschaften eröffnen diese Simulationsexperimente auch vielversprechende Perspektiven für die Weiterentwicklung künstlicher intelligenter Systeme. Wie das Gehirn werden diese analoge statt digitaler Signale verwenden und wesentlich energieeffizienter arbeiten als bisherige Digitalrechner.

Warum Tierversuche?

Es gibt fundamental wichtige Fragestellungen, bei deren Erforschung Tierversuche noch nicht durch andere Methoden ersetzt werden können, so zum Beispiel bei der Erklärung, wie die Signalübertragung im Gehirn auf Zellebene funktioniert. Immer, wenn Tierversuche eingesetzt werden, entstehen dadurch auch ethische Fragen, die nicht einfach zu beantworten sind. Werte, wie der Nutzen des Erkenntnisgewinns und der Schaden für das Tier, müssen bei der Entscheidung pro oder contra Tierversuche abgewogen werden.

Erkenntnisse, die mithilfe von Tierversuchen gewonnen wurden, tragen regelmäßig zu wichtigen Fortschritten in den Neurowissenschaften bei:

… bei der Erklärung des visuellen Systems und seiner Entwicklung
… bei der Entwicklung von Gehirn-Computer-Schnittstellen, z. B. zur Mobilisierung bei Querschnittslähmung
… bei der Identifikation der Gehirnregionen, die es uns ermöglichen, etwas wiederzuerkennen
… bei der Neurostimulation z.B. zur Behandlung der Parkinson-Krankheit
… bei der Erklärung von kognitiven Funktionsschäden oder Bewegungs­einschränkungen nach einem Schlaganfall

Tierversuche
vermeiden, vermindern, verbessern und verantwortlich durchführen

Rahmenregelwerke für die Durchführung von Tierversuchen sind das geltende Tierschutzgesetz sowie, in detaillierter Ausführung, die Tierschutz-Versuchstierordnung. Den gesetzlichen Regelungen liegt dabei grundsätzlich das „3R-Prinzip“ zugrunde. 3R steht dabei für

Replacement – den Ersatz von Tierversuchen. Am Ernst Strüngmann Institut werden nur dann Tierversuche durchgeführt, wenn es für die Untersuchung der Forschungsfragen keine sinnvollen methodischen Alternativen gibt.

Reduction – die Minimierung von Tierversuchen. Neben der generellen Reduzierung von Tierversuchen setzen wir innerhalb von Versuchen so wenige Tiere wie möglich ein. Um passgenau zu ermitteln, wie viele Tiere benötigt werden, verwenden wir dafür entwickelte statistische Berechnungsverfahren, die von Behörden geprüft werden.

Refinement – die Verbesserung von Tierversuchen, mit dem Ziel, die Belastung für die Tiere zu verringern. Das tun wir durch den Einsatz moderner Tiertraining-Konzepte und durch die stetige Weiterentwicklung von Versuchsumfeldern.

Über die gesetzlichen Anforderungen hinaus setzt das Ernst Strüngmann Institut seine wissenschaftliche Expertise dazu ein, die Umsetzung von Tierversuchen kontinuierlich zu verbessern. Als assoziiertes Institut der Max-Planck-Gesellschaft (MPG) ist das Whitepaper der MPG eine weitere fundamentale Leitlinie für den professionell geführten und vertrauensbildenden Dialog mit der Öffentlichkeit.

Ein Beispiel

Jean Laurens entwickelt mit seiner Forschungsgruppe Konzepte, mithilfe derer die Versuche bestmöglich in den Alltag der Tiere integriert werden können. Damit trägt die Gruppe dazu bei, ein neues ethisches Paradigma für neurowissenschaftliche Studien an nicht-humanen Primaten zu entwickeln, das die Tiere bestmöglich anerkennt und respektiert.

Forschungvorhaben
Versuchsaufbau
Verantwortung

Die Video-Sequenzen veranschaulichen eine exemplarische wissenschaftliche Fragestellung und wurden im Jahr 2022 aufgezeichnet. (Derzeit werden am Ernst Strüngmann Institut keine Versuche mit nicht-humanen Primaten durchgeführt.)

Tierhaltung am ESI

Die Anforderungen an die Tierhaltung werden in der Richtlinie 2010/63/EU, beziehungsweise im Anhang A der Leitlinien für die Unterbringung und Pflege von Tieren, die für Versuche und andere wissenschaftliche Zwecke verwendet werden (ETS 123), grundlegend definiert. Dort werden zum Beispiel auch Vorgaben zur Betreuung der Tiere gemacht, die für alle Einrichtungen gelten.
Die Haltungsbedingungen im Tierhaus des ESI werden diesen gerecht und folgen modernen Konzepten. Alle Rhesusaffen verfügen über großzügige Innen- und Außengehege und können ihren Aufenthaltsort im Haltungsbereich jederzeit frei wählen. In ihrem Gehege stehen ihnen vielseitige und abwechslungsreiche Enrichment-Vorrichtungen zur Verfügung. Die Tierhaltung am ESI übererfüllt die gesetzlichen Vorgaben und ist so beispielhaft, dass wir regelmäßig Besichtigungen für Behördenvertreter und andere Interessengruppen durchführen.

Vergesellschaftung der Primaten

Die Primaten im ESI-Tierhaus leben vergesellschaftet, in der Regel in Form von Zwei-Tier-Wohngemeinschaften. Die vergesellschaftete Unterbringung ist für alle Primaten vorgesehen. Auf die Vergesellschaftung haben dabei vielseitige Faktoren einen Einfluss. Am wichtigsten ist, dass sich die Tiere gut vertragen. Aber auch andere Aspekte, wie zum Beispiel die individuelle Mobilität der Tiere, die Verträglichkeit zwischen Männchen und Weibchen und die unterschiedlichen Trainingsverfahren fließen in die Planung und Umsetzung der Gruppenzusammenstellungen ein. Die Vergesellschaftung erfolgt innerhalb eines sorgfältig begleiteten Prozesses, in dessen Verlauf sich die Tiere zunächst kennenlernen und miteinander vertraut machen können, bevor sie gemeinsam in ein Gehege ziehen. Manchmal ist dies nach wenigen Wochen möglich. Vergesellschaftungsversuche bei Primaten sind aber generell sehr schwierig. Einen genauen Ablauf bzw. Zeitplan kann man nicht vorhersagen. Daher kann es auch passieren, dass Tiere nach längerer Paarhaltung vorübergehend auch wieder getrennt werden müssen.

Alle Rhesusaffen verfügen über großzügige Innen- und Außengehege und können ihren Aufenthaltsort im Haltungsbereich jederzeit frei wählen.

In seltenen Fällen kann es sein, dass etwa das Hierarchieverhalten einzelner Tiere zu Unverträglichkeiten führt. Dann ist die Vergesellschaftung in gemeinsamen Gehegen erschwert oder zum Schutz der Tiere gar nicht möglich. Aber auch in einem solchen Fall wird kein Tier isoliert gehalten. Selbst wenn die Unterbringung in Gemeinschaftsgehegen nicht möglich ist, können die Tiere ihre Artgenossen jederzeit sehen, riechen und hören und sind nicht alleine. Die Einzelhaltung bleibt aber eine absolute Ausnahme, sodass auch bei gescheiterten Vergesellschaftungen der Versuch nach einer gewissen Zeit oder in anderen Konstellationen erneut unternommen wird. Bis auf zwei Tiere befinden sich derzeit alle der bisher einzeln gehaltenen Primaten in Vergesellschaftungsversuchen. In einem Vergesellschaftungsversuch sind die Tiere seit dem 07.01.2025 auch über Nacht zusammen. In einem anderen Vergesellschaftungsversuch sind die Tiere seit dem 11.02.2025 über Nacht zusammen und werden nur noch kurzzeitig für die Fütterung getrennt.

Sachkundige Betreuung der Tiere: Wiedererlangung der Haltungserlaubnis nach §11 TierSchG

Alle Tiere am ESI werden durch ein erfahrenes Team von Pflegern, Trainern und Fachtierärzten betreut. Hierbei kooperieren wir auch mit renommierten Institutionen. Insbesondere im Umgang mit Primaten bildet sich unser Team laufend weiter.

Für die Haltung und die Durchführung von Versuchen mit nicht-humanen Primaten ist eine besondere Sachkunde nachzuweisen. Diese ist gesetzlich nicht näher definiert, sondern wird durch die Aufsichtsbehörden nach genauster individueller Prüfung der bisherigen Arbeit, durchlaufener Fortbildung und dem tagesaktuellen Umgang mit den Tieren erteilt. Das Verfahren ist kleinteilig und aufwändig, um auch dauerhaft sicherzustellen, dass die Primaten bestmöglich betreut werden.

Nach personellen Veränderungen im Tierhaus Anfang 2024 verfügt das ESI nun wieder über die Haltungserlaubnis nach § 11 TierSchG. Die zuständige Fachbehörde hat die Sachkunde unserer verantwortlichen Veterinäre ebenso bestätigt wie die Eignung unserer Einrichtung. Damit ist auch die Durchführung primatenspezifischer Forschung wieder am ESI möglich.

Next Habitat – Verantwortung für unsere Primaten nach der Forschung

Primaten, die nicht mehr für die Forschung vorgesehen sind, werden im Tierhaus des ESI weitergehalten und dazu individuell sachkundig versorgt, gepflegt und tierärztlich betreut. Darüber hinaus wurde unter der Federführung der neuen Tierhausleitung in den letzten Monaten ein strukturierter Prozess für die Ausgliederung von Tieren entwickelt.

Dieser umfasst die Entfernung der Implantate, soweit dies möglich ist. Einzelne Tiere sollen nach vollständiger Wiederherstellung und Genesung, an geeignete Aufnahmeeinrichtungen abgegeben werden. Kann ein Tier nicht vermittelt werden, weil keine adäquate Aufnahmeeinrichtung zur Verfügung steht oder seine Ausgliederung aus gesetzlichen Gründen nicht möglich ist, bleibt der Primat in seiner vertrauten Wohnumgebung im ESI-Tierhaus.

Das Rehoming-Programm „Next Habitat“ ist feststehender Bestandteil der ethischen Verantwortung des Ernst Strüngmann Instituts und logischer Teil unseres Engagements, die höchsten Standards in Forschung und Tierwohl zu verbinden. Mit einem klaren Qualitätskatalog, regelmäßigen Überprüfungen und einer offenen Kommunikation über diese Maßnahmen zeigt das ESI, dass Wissenschaft und Verantwortung Hand in Hand gehen.

Das „Next Habitat“-Programm basiert auf einem eigens entwickelten Fragenkatalog, der die Anforderungen an die Anschlusseinrichtungen definiert. Das ESI zeigt damit seinen Anspruch an höchste Tierhaltungsstandards.

Zu den zentralen Kriterien zählen:
  • Artgerechte Haltung: Die Einrichtungen müssen umfangreiche räumliche und soziale Bedingungen bieten, die den natürlichen Bedürfnissen der Primaten gerecht werden.
  • Medizinische Betreuung: Eine kontinuierliche fachtierärztliche Versorgung muss gewährleistet sein, um die Gesundheit der Tiere langfristig sicherzustellen.
  • Soziale Integration: Es wird geprüft, ob die Tiere in Gruppen gehalten werden können, um ihre sozialen Bedürfnisse zu erfüllen. Wir überprüfen auch mit welchen Methoden und Prozessen Tiere vergesellschaftet werden.
  • Individuelle Betreuung: Die Einrichtungen müssen sicherstellen, dass auf die spezifischen Bedürfnisse jedes einzelnen Tieres eingegangen wird.

Das ESI-Tierärzteteam beabsichtigt, die Aufnahmeeinrichtungen persönlich zu besuchen, um die langfristige Einhaltung der vereinbarten Bedingungen zu garantieren. Ziel ist nicht eine schnelle Übergabe, sondern eine langfristig tragfähige Lösung für jedes einzelne Tier.

FAQs

Warum forscht man an Primaten?

Die Gehirne nicht-humaner Primaten sind denen der Menschen hinsichtlich ihrer Struktur und Funktion bereits sehr ähnlich, so dass Erkenntnisse aus Versuchen an nicht-humanen Primaten am besten auf die Situation beim Menschen übertragen werden können. Insbesondere der temporale, parietale und präfrontale Kortex von nicht-humanen Primaten ist dem des Menschen deutlich ähnlicher, als der von Nagetieren. Zu den nicht-humanen Primaten zählen zum Beispiel Makaken und Marmosetten. Versuche mit Menschenaffen, wie Schimpansen, dem Lebewesen, das dem Menschen genetisch am ähnlichsten ist, sind in Europa, und damit auch in Deutschland, grundsätzlich verboten.

Warum kann man Tierversuche nicht vollständig ersetzen?

Im Rahmen der Forschungsprojekte am Ernst Strüngmann Institut wird ein Spektrum an unterschiedlichen Methoden eingesetzt, darunter zum Beispiel Computersimulationen, Organoide, sowie nicht-invasive, bildgebende Verfahren wie EEG, MEG und MRT bei Menschen. Diese Methoden haben jedoch klare Grenzen. Um zum Beispiel die Verarbeitung von (Sinnes)Reizen im Gehirn und damit grundlegende Fragen der Wahrnehmung, der Informationsverarbeitung sowie möglicher Störungen zu erklären, ist es nach wie vor erforderlich, invasive Messungen an Neuronen im Gehirn vorzunehmen. Gerade für die Erforschung komplexer neuronaler Zusammenhänge sind Tierversuche deshalb nach wie vor unersetzlich. Perspektiven, die Anzahl von Tierversuchen weiter zu reduzieren, entstehen mit der Nutzung von Organoiden, einer Methodik, die derzeit ebenfalls am Ernst Strüngmann Institut etabliert wird. Vollständig ersetzen kann man die Tierversuche aber auch mit der Forschung an Organoiden nicht. Die Technologie der Hirnforschung entwickelt sich ständig weiter. Am Ernst Strüngmann Institut verfügen wir über eine beeindruckende Palette modernster Technologien. Dazu gehören Gehirnelektroden der neuesten Generation, Miniaturgeräte für drahtlose Gehirnaufzeichnungen, Virtual Reality für Nagetiere und Primaten sowie Zwei-Photonen-Mikroskope. Unsere Forschung ist nicht in der Vergangenheit verhaftet, sondern wird kontinuierlich durch aufeinanderfolgende Generationen junger, innovativer Forscher:innen erneuert.

Was sind eigentlich Organoide?

Organoide sind, vereinfacht gesagt, wenige Millimeter große Miniorgane, die man aus Stammzellen gewinnen kann. Dazu können embryonale Stammzellen, iPS-Zellen oder auch adulte Stammzellen eingesetzt werden. Als Stammzellen bezeichnet man Zellen, die noch nicht auf eine Funktion im Organismus festgelegt sind. Sie können sich sozusagen im Laufe ihrer Entwicklung spezialisieren und zum Beispiel eine Muskel-, Haut- oder Nervenzelle werden.

So ist es auch möglich, aus Stammzellen Hirn-Organoide zu erzeugen. Damit entstehen quasi einfache, dreidimensionale Gewebemodelle, an denen man in-vitro Aspekte der Organentwicklung und -funktion erforschen kann. Für die Beantwortung bestimmter Fragestellungen sind sie besser geeignet als bisherige 2D-Gewebemodelle oder Tierversuche. Die Forschung an Organoiden trägt so unter anderem dazu bei, Tierversuche zu reduzieren. Aber auch ihr Einsatz hat Grenzen: Ihnen fehlen wichtige Strukturen ihrer Organvorbilder, wie zum Beispiel die Blutgefäße zur Nährstoffversorgung oder auch Immunzellen, so dass sie nur wenige Millimeter groß werden können. Dadurch sind die Organoide deutlich weniger komplex als ein vollständig entwickeltes Organ. Sie stellen nur einzelne Zellverknüpfungen dar, die nicht ausreichen, um zum Beispiel die Reizverarbeitung im Gehirn oder Fragen nach den Grundlagen kognitiver oder exekutiver Funktionen zu beantworten.

Organoide sind deshalb geeignet, um frühe Stadien der Hirnentwicklung in vitro zu untersuchen. Sie eignen sich jedoch nicht zur Untersuchung integrierter Hirnfunktionen, weil diese vom Zusammenwirken einer Vielzahl von Hirnstrukturen abhängen. Dieses Zusammenspiel lässt sich in vitro, also außerhalb eines lebendigen Organismus, mithilfe von Organoiden nicht einmal in einfachsten Ansätzen nachbilden.

Neben den Chancen, die sich durch die Forschung an Organoiden ergeben, entstehen auch neue ethische Fragestellungen, die nicht leicht zu beantworten sind. Prof. Wolf Singer hat die Diskussion als Mitglied der Arbeitsgruppe „Hirn-Organoide“ der Leopoldina begleitet, die, als Nationale Akademie der Wissenschaften Deutschlands, dazu 2022 eine Stellungnahme abgegeben hat. Die Stellungnahme finden Sie hier: 2022_Leopoldina_Stellungnahme_Hirnorganoide_Web.pdf (externer Link).

Lassen sich Ergebnisse aus Tierversuchen überhaupt auf den Menschen übertragen?

Ja. Durch Erkenntnisse aus nicht-invasiven MRT-Untersuchungen, postmortaler Anatomie und klinischen Fällen wissen wir inzwischen Wichtiges über die Funktionsweise des menschlichen Gehirns, was uns die Gewissheit gibt, dass die Funktionen, die am Ernst Strüngmann Institut untersucht werden, bei Menschen und nicht-humanen Primaten gleichermaßen funktionieren. Untersuchungen zur Erfassung der neuronalen Aktivität erfordern es, direkt vom Gehirn aufzuzeichnen. Diese Untersuchungen können nicht am Menschen durchgeführt werden.

Wie läuft ein Tierversuchsantrag ab, wer muss zustimmen?

Tierversuche dürfen nur durchgeführt werden, wenn sie von den zuständigen Behörden genehmigt wurden. Im Falle des Ernst Strüngmann Instituts ist dies das Regierungspräsidium Darmstadt. Alle Schritte des Genehmigungsprozesses unterliegen den strengen Vorgaben des Tierschutzgesetzes und der Tierschutz-Versuchstierverordnung.

Im Genehmigungsantrag müssen die Wissenschaftler:innen den geplanten Versuch umfassend wissenschaftlich und ethisch begründen und erläutern, welche neuen Erkenntnisse damit gewonnen werden, dass die Fragestellung neu ist und nicht bereits geklärt wurde. Ebenso müssen sie insbesondere schlüssig darlegen, dass die Ergebnisse der Forschungsfrage nur mit einem Tierversuch erreicht werden können und es keine alternativen Methoden zur Erforschung der Fragestellung gibt. Zum Genehmigungsantrag gehört auch die Stellungnahme des/der zuständigen Tierschutzbeauftragten.

Die Behörde überprüft die Vollständigkeit des Antrages und die Nachvollziehbarkeit des Forschungsprojektes. Dabei wird sie von einer unabhängigen beratenden Kommission unterstützt, der sogenannten §15- oder Tierversuchskommission. Die Kommission setzt sich aus Tierärztinnen und Tierärzten, Ärztinnen und Ärzten und Forschenden zusammen, sowie zu mindestens einem Drittel aus Mitgliedern, die von Tierschutzorganisationen berufen wurden. Die Kommission berät die Behörde bei der Entscheidung über einen Antrag, indem sie eine Empfehlung abgibt. Innerhalb von 40 Tagen soll der Genehmigungsprozess laut Gesetz abgeschlossen sein. Die Behörde wird, wenn alle Voraussetzungen inklusive der ethischen Begründung zufriedenstellend erfüllt sind, den Tierversuch (mit oder ohne Auflagen) genehmigen. Die Behörde kann den Antrag auch ablehnen, oft wird sie aber von den Forschenden zunächst Änderungen am Antrag verlangen. Zwischengeschaltet ist immer die/der Tierschutzbeauftragte, der den Antrag bereits im Vorfeld geprüft hat. Rückfragen der Behörde muss der Antragstellende nachvollziehbar beantworten. Die Behörde hat auch die Möglichkeit, die Erteilung der Genehmigung an Bedingungen zu knüpfen, etwa, eine weniger belastende Untersuchungsmethode zu wählen oder die Anzahl der Tiere zu reduzieren. Eine tatsächliche Ablehnung des Antrages erfolgt in der Regel nur dann, wenn der Antragstellende die Rückfragen nicht zufriedenstellend beantwortet oder die an ihn gestellten Auflagen aus logistischen, infrastrukturellen oder wissenschaftlichen Gründen nicht einhalten kann.

Kommen die Primaten aus Zoos oder aus dem Urwald?

Weder noch: Tiere, die für Versuche eingesetzt werden sollen, müssen entsprechend §9 Tierschutzgesetz speziell dafür gezüchtet werden. Die Vorgaben für die Herkunft nicht-humaner Primaten wurden zuletzt 2010 (RL 2010/63/EU) noch verbessert, um zu gewährleisten, dass die Primaten aus etablierten Zuchtkolonien kommen.

Wieviele Stunden pro Tag müssen die Tiere am Versuch teilnehmen?

Wichtig zu wissen ist, dass Tiere, sobald sie in einem genehmigten Forschungsprojekt eingebunden sind, nicht automatisch auch täglich in Versuchen eingesetzt werden. In der Regel gibt es zunächst eine Phase, in der die Tiere mit der Versuchsaufgabe vertraut gemacht werden. Dies erfolgt, zumeist über mehrere Wochen, mithilfe moderner Trainingskonzepte, bei deren Entwicklung und Umsetzung uns auch externe Experten unterstützen.

Hinsichtlich der Versuche werden die maximalen Einsatzzeiten der Tiere bereits im Genehmigungsverfahren festgelegt. In der Regel sind die Tiere an einem Tag nicht mehr als drei Stunden im Training oder Versuch integriert. Grundsätzlich sind die Trainings-/Versuchssitzungen sofort zu unterbrechen, wenn ein Tier Unbehagen zeigt.

Warum wird den Tieren Wasser vorenthalten?

Im Rahmen der Versuche lösen die Tiere Aufgaben, auf die sie im Vorfeld über einen längeren, zum Teil mehrmonatigen Zeitraum trainiert werden. Die Versuchsdurchführenden verwenden positive Verstärkung, um den Tieren anzuzeigen, wenn sie eine korrekte Handlung ausführen. Diese positive Verstärkung besteht aus Belohnungen in Form von bevorzugtem Nassfutter oder zum Beispiel auch in Form von Fruchtsäften oder Sojamilch. Unsere Philosophie ist es, das Training regelmäßig durchzuführen und die Tiere daran zu gewöhnen, ihren Flüssigkeits- oder Nahrungsbedarf primär innerhalb der Trainingszeiten zu decken, ähnlich wie bei regelmäßigen Mahlzeiten.

Das ist wichtig zu wissen, um zu verstehen, dass die Tiere nicht durch Wasser- und Nahrungsentzug zur Teilnahme an den Versuchen gezwungen werden. Wenn ein Tier die Aufgabe nicht erfüllt oder sich einfach weigert, daran teilzunehmen, erhält es immer die erforderliche und ausgewogene Versorgung an Getränken und Futter.

Werden den Tieren Löcher in den Schädel gebohrt?

Am Ernst Strüngmann Institut lösen die Tiere im Rahmen der Versuche unterschiedliche Aufgaben. Nicht für jeden Versuch sind Implantate erforderlich, daher sind auch nicht alle der in der Tierhaltung befindlichen Tiere implantiert.

Bezüglich der Implantate unterscheidet man sogenannte Headposts und sogenannte Ableitkammern.

Die Nutzung von Headposts ist zum Beispiel bei Eye-Tracking-Untersuchungen erforderlich: Um verwertbare Ergebnisse zu gewinnen, muss das Tier den Kopf während der Untersuchung möglichst ruhig halten. Sein Kopf wird dazu über die Dauer des Versuchs mithilfe des Headposts fixiert. Der Headpost ist kein Implantat im klassischen Sinne: Er wird in einer Operation unter Vollnarkose auf der Schädeldecke des Tieres angebracht.

Eine Ableitkammer wird gesetzt, wenn im Rahmen eines genehmigten Tierversuchs invasive Messungen an den Neuronen im Gehirn erforderlich sind. Dazu wird innerhalb einer Operation unter Vollnarkose an einer zuvor genau definierten Stelle eine Ableitkammer implantiert. Sie umschließt dann einen offenen Zugang zum Gehirn, der ebenfalls innerhalb der Operation gelegt worden ist.

Im Versuch erfolgen die neuronalen Messungen über hauchfeine Elektroden, die über diesen Zugang für das Tier schmerzfrei in das Gehirn eingeführt werden können. Die Ableitkammer bietet, solange das Tier im Versuch eingebunden ist, Schutz vor Infektionen.

Das Setzen der Implantate erfolgt in einer Operation unter Vollnarkose, die mit postoperativen Schmerzen verbunden ist. Für eine solche Operation werden im Bedarfsfall hocherfahrene Neurochirurgen unterstützend hinzugezogen. Darüber hinaus werden die Tiere auch im Nachgang der Operation durchgängig tierärztlich betreut und mit Schmerzmitteln versorgt.

Die Implantate werden für jedes Tier individuell und hinsichtlich ihres Gewichts, ihrer Größe und Form in ergonomischer Passform angefertigt. Aufgrund seiner hohen Bioverträglichkeit sowie seiner Leichtigkeit wird Titan, wie auch in der Humanmedizin, als Werkstoff für die Implantate eingesetzt. Nimmt ein Tier nicht mehr an entsprechenden Versuchen teil, werden die Implantate, insofern keine anderweitigen Gründe dagegen sprechen, unter Vollnarkose entfernt.

In aller Regel heilen die OP-Wunden schnell und zuverlässig ab, so dass die Implantate für das Tier beschwerdefrei sind. In seltenen Fällen treten Entzündungen am Implantat-Rand auf. Dies kann zum Beispiel vorkommen, wenn sich die Tiere dort kratzen. Deshalb finden bei allen Tieren tägliche Kontrollen und im Bedarfsfall unmittelbare Maßnahmen zur Wundpflege statt.

Was passiert mit kranken Tieren?

Kranke Tiere werden in ihrer gewohnten Umgebung oder, falls erforderlich, auch in einer spezialisierten Tierklinik medizinisch versorgt. Dem ESI stehen außerdem mehrere sehr erfahrene Fachtierärzte zur Verfügung. Sie behandeln Erkrankungen unterschiedlichster Genese. So zum Beispiel etwa auch typische Alterserscheinungen, wie arthritische Knochen- oder Gelenksbeschwerden bei Makaken, die auftreten können, weil die Tiere in der Tierhaltung im Schnitt älter werden, als in freier Wildbahn.

In Krankheitsfällen oder bei Beschwerden, die über Befindlichkeitsstörungen hinausgehen, werden die Tiere zur Befundung in eine externe Tierklinik gebracht und dort von weiteren Spezialisten untersucht. Auf Basis ihrer Diagnosen können dann unmittelbar individuelle Therapiemaßnahmen eingeleitet werden.

Leider ist nicht immer eine Heilung möglich, etwa im Falle von Krebserkrankungen, die, wie bei Menschen mit zunehmendem Alter auch bei den Tieren häufiger auftreten können und dann meist im Rahmen allgemeiner Untersuchungen entdeckt werden.

Wie in einer Haustierarzt-Praxis, muss dann manchmal die Entscheidung getroffen werden, ein Tier zu einzuschläfern, um weitere Schmerzen, Leiden und Schäden zu verhindern. Diese schwerwiegende Entscheidung wird für jedes betroffene Tier individuell bewertet und sorgsam abgewogen.

Verstirbt ein Tier, wird es zu einer unabhängigen pathologischen Einrichtung verbracht. Diese ermittelt die konkrete Todesursache und untersucht den Allgemeinzustand des Tieres. Die Ergebnisse werden in einem unabhängigen Bericht dokumentiert, der nicht nur an das ESI, sondern auch an die zuständige Aufsichtsbehörde übermittelt wird. Hierbei wird gleichzeitig überprüft, ob sich die Befundung bestätigt und ob die Entscheidungsfindung des ESI-Tierarztteams korrekt war. Hier wurde bisher nichts beanstandet.